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Nach der Wahl ist vor der Wahl
Die Lage gestaltet sich für die FPÖ vor den Sommermonaten sehr freundlich. Man liegt nach wie vor vorne, wenngleich nicht mehr so hoch wie in den vergangenen zwölf Monaten. Die ÖVP hat nach ihrem zweiten Platz bei der Europaparlamentswahl, den man fast wie einen Sieg gefeiert hat, etwas Oberwasser, während die SPÖ kaum vom Fleck kommt. Die Nationalratswahl wird für die traditionellen Parlamentsparteien und die Demoskopen eine große Herausforderung darstellen. Die BIER-Partei hat echte Chancen auf den Einzug ins Parlament, die KPÖ und die DNA haben bei der Europaparlamentswahl gezeigt, dass mit Kleinstparteien zu rechnen ist. Man ist dank der sozialen Medien nicht mehr auf die klassischen Medien angewiesen. Bleibt die Frage offen, wer den Sommer am besten für sich nützen kann.
Rest auf 100 %: k. A., Methode: Kombination telefonische und Online-Befragung Zielgruppe: Österr. Bevölkerung ab 16 Jahren, Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: + 3,5 Prozentpunkte, Sample: n= 1008 Befragte, Feldarbeit: 12. bis 19. Juni 2024
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Der Koalitionsstreit nützt der ÖVP: Die FPÖ bleibt Platz 1, Nehammer überholt Kickl aber in der Kanzlerfrage, zeigt die profil Umfrage.
Nach der EU-Wahl ist vor der Nationalratswahl: Beide Regierungsparteien haben bei der Wahl zum Europäischen Parlament verloren - und stürzten zwei Wochen danach wegen eines EU-Themas in eine der heftigsten Krisen der Legislaturperiode. Umweltministerin Leonore Gewessler stimmte beim EU-Ministerrat dem Renaturierungsgesetz zu - die ÖVP tobte und zeigt Gewessler an.
Das Einzige, das die Koalition noch zusammenhält hält, ist ihr nahes Ende. Selbst wenn die Regierung jetzt in die Brüche ginge, fände die Nationalratswahl wie geplant am 29. September statt. Drei Monate sind kurz genug, um sie noch mit den Grünen auszuhalten, ohne neue Mehrheiten suchen zu müssen. Kanzler Karl Nehammer verbreitete also am frühen Montagabend aus Brüssel zwei Botschaften, die eigentlich widersprüchlich sind: Gewessler habe die Verfassung, das Recht und sein Vertrauen gebrochen. Trotzdem werde die ÖVP formal mit ihr und den Grünen weiterarbeiten.
Der Rest der Regierung schien zunächst den Atem anzuhalten. Öffentliche Termine wurden abgesagt, Treffen der Koalitionsparteien vermieden. Ziemlich praktisch, dass zwar Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zum Fußball-EM-Spiel der Österreicher nach Düsseldorf gereist war, Sportminister Werner Kogler aber zu Hause blieb. "Wir würden es jeden Tag genauso wieder machen", richtete er zuerst der ÖVP zum Renaturierungsgesetz aus und fuhr dann nach Schwechat zu einem Public Viewing mit den niederösterreichischen Grünen. Am Mittwoch sagte das Kanzleramt das wöchentliche Regierungstreffen ab, der Ministerrat tagte nur via schriftlichen Umlaufbeschluss. So sehr war die Koalition bisher noch nie auf Abstand gegangen - nicht einmal, als die Grünen eine "untadelige Person" als Kanzler statt Sebastian Kurz verlangt hatten.
Szenen eines Wahlkampfes
Mit diesem tiefen Zerwürfnis ist inoffiziell der Wahlkampf für die Nationalratswahl eröffnet. Die Start-Aufstellung laut der großen Umfrage, die das Institut Unique research für profil durchführt: Das Kante-Zeigen im Regierungsstreit nützt den Koalitionsparteien etwas.
Die FPÖ bleibt mit 27 Prozent zwar eindeutig auf Platz 1, verliert aber gegenüber der vorigen Umfrage deutlich (siehe Grafiken). Die ÖVP hingegen legt zu und kann erstmals seit Monaten den Abstand zur FPÖ signifikant verringern. Sie zieht auch an der SPÖ vorbei, die nahe am Tiefpunkt stagniert, den sie im Vorjahr im Streit um den Parteivorsitz erreicht hat. Durch das Absacken der FPÖ wird allerdings auch ihr Abstand zu Platz 1 geringer. auf den hinteren Rängen überholen die Neos die Grünen, die Bierpartei bleibt stark. Zusatz: Die Umfrage wurde mit dem großen Sample von 1008 Befragten durchgeführt, dennoch liegen Zugewinne und Verluste der Parteien in der Schwankungsbreite.
Das Nachgeben der FPÖ zeigt sich auch in der (fiktiven) Kanzlerfrage: Amtsinhaber Karl Nehammer überholt FPÖ-Chef Herbert Kickl - zuletzt war er im September 2023 voran gelegen. SPÖ-Chef Andreas Babler bleibt abgeschlagen auf dem dritten Platz, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger zeigt sich nach dem guten EU-Wahl-Ergebnis auch hier im Hoch. In diesem Umfrage-Werten wirken sicher die Ergebnisse der Europawahl nach.
Für das Wahlergebnis im Herbst wird mitentscheidend sein, wie optimistisch (oder pessimistisch) die Wählerinnen und Wähler die Zukunft bewerten - oder ob sie von Abstiegssorgen geplant sind. Ein Trend lässt sich aus den Antworten auf die Frage herauslesen, ob das Aufstiegsversprechen noch gilt, ob es also der nächsten Generation besser gehen wird. Das Resultat: Mit 60 Prozent sagt die Mehrheit "eher nein" oder "nein" - nur 31 Prozent halten das Aufstiegsversprechen "auf jeden Fall" oder "eher" noch für zutreffend.
Welche Regierung aber soll die Situation nach der Wahl verbessern? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander - und jede Koalitionsvariante hat auch viele Gegner. Eine Neuauflage der Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ stößt noch auf die vergleichsweise größte Unterstützung, 20 Prozent würden das unterstützen, weitere 41 Prozent könnten sich zumindest damit arrangieren.
Grüne Machtpolitik
Gewiss ist: Die derzeitige Regierung aus ÖVP und Grünen ist am Ende, das zeigt der vehemente Streit um Gewesslers Alleingang in Luxemburg. In der ÖVP stellte man sich verblüfft die Frage: Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Klar, das Renaturierungsgesetz ist den Grünen wichtig. Aber dass sie so weit gehen würden, überraschte die Volkspartei doch. Womöglich, weil es lange so aussah, als würde das Renaturierungsgesetz ohnehin nie beschlossen werden.
Der Bauernbund schrie schon vor einem Jahr lautstark auf, aber auf Bundesebene blieb es lange still. Es war auch nicht nötig, das Gesetz schien sowieso nicht durchzukommen. Zuerst waren die Bundesländer dagegen, weil der Landwirtschaftsminister nicht zustimmen wollte, und weil es eine Chance gab, dass es in Luxemburg gar nicht auf die Tagesordnung kommt. Von der eilig einberufenen Pressekonferenz von Leonore Gewessler am Sonntag erfuhren einige im Regierungsteam gleichzeitig mit den Medien, als die Einladung ausgeschickt wurde. Bei den Grünen versichert man, es habe kurz vorher „mehrere Telefonate auf unterschiedlichen Ebenen“ gegeben.
In der ÖVP blitzte zwischen all der Fassungslosigkeit und Empörung vor allem eine Erkenntnis durch: Die Grünen können auch eiskalte Machttaktiker sein. Das Timing ist für die Partei nämlich perfekt. Nach dem Trubel bei der EU-Wahl und kurz vor dem Bundeskongress am Samstag, bei dem die grüne Nationalratsliste fixiert wird, zeigt die Parteispitze, dass sie sich von der Volkspartei nichts gefallen lässt. Dass keine der beiden Parteien damit rechnet, im Herbst wieder zusammen zu koalieren, beschleunigt den Konflikt nur weiter.
Gesetze als Kitt statt Opfer
Wobei die Grünen gerade eine erstaunliche Gelassenheit vor sich hertragen. Gewessler bedankte sich am Mittwoch in einem Video für „die unheimlich netten Nachrichten, Briefe und Kommentare“, die sie zum Renaturierungsgesetz bekommen habe. Keine Rede davon, dass die Partei, mit der sie koaliert, eine Anzeige wegen Amtsmissbrauch angekündigt hatte. Spätestens kommenden Mittwoch werde man sich wieder persönlich sehen, heißt es aus dem grünen Regierungsteam. Auf Beamtenebene arbeite man ohnehin wie immer zusammen, immerhin gebe es noch einige Projekte zu beschließen.
Offiziell wurden tatsächlich noch keine Gesetze Opfer der Regierungskrise. Allein vergangene Woche hatten ÖVP und Grüne immerhin mehr als 30 Initiativanträge und 14 Regierungsvorlagen im Parlament eingebracht, um sie im Idealfall im Juli, notfalls auch im September, zu beschließen. Dazu zählen etwa Teile der Pflegereform, ein Behindertenpaket, das neue Tierschutzgesetz, die Reform der Strafprozessordnung, ein milliardenschweres Unterstützungspaket für Gemeinden oder die Aufstockung des Katastrophenfonds. Projekte also, die sich beide Regierungsparteien im Wahlkampf auf die Fahnen heften wollen – und deren Scheitern politisch peinlich wäre. Sonst hätte Nehammer auch gleich die Koalition aufkündigen können.
Einige Maßnahmen sind der ÖVP noch ein besonderes Anliegen. Etwa die Reform der Handyauswertung , die auch vom Verfassungsgerichtshof verlangt wurde. Sie kommt nun in einem Paket mit der Rückerstattung von Anwaltskosten bei Freisprüchen und eingestellten Strafverfahren. Die Verhandlungen in der Koalition dauerten lange, der Öffentlichkeit bleibt nun nur eine zweiwöchige Begutachtungsfrist. In Justizkreisen sorgt das für Empörung, auch, weil bei der Handyauswertung Macht von den Staatsanwaltschaften an die Kriminalpolizei und damit das Innenministerium abgegeben werden soll. Mit längerer Begutachtungsfrist wäre sich die Reform der Strafprozessordnung aber vor Sommer nicht mehr ausgegangen.
Österreich, allein ohne Klima-Plan
Wo sie nicht muss, wird die ÖVP dem Koalitionspartner aber wohl kaum weit entgegenkommen: Die von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) gewünschte unabhängige Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften gilt etwa bereits als abgeschrieben. Besonders schwierig wird es wohl, wenn es um Gewesslers Projekte geht.
Zum Beispiel beim Nationalen Energie- und Klimaplan, bei dem Österreich seit einem Jahr säumig ist. Schon bei der ersten Frist im Juni letzten Jahres hatte Gewessler den türkisen Koalitionspartner übergangen und gab einen Entwurf zur Reduktion des CO -Ausstoßes ab, der nicht ausreichend abgestimmt war. EU-Ministerin Edtstadler holte das Papier zurück, seitdem herrscht Stillstand. Mittlerweile ist Österreich das einzige EU-Land ohne derartigen Klimaplan, ein Vertragsverletzungsverfahren läuft. Bis 30. Juni müsste sich Gewessler mit dem Koalitionspartner einigen. Sonst drohen weitere Strafgelder. Im Klimaministerium wird daher weiter an einem finalen Plan gearbeitet. Die ÖVP hat bisher keine erneute Ablehnung signalisiert. Noch nicht.
Die schmerzhaftesten Niederlagen drohen den Grünen ganz allgemein in Klimafragen, hier kann sich die ÖVP am leichtesten rächen. Beim Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz haben sich die Regierungsverhandlungen schon länger entschleunigt. Die grüne Ministerin hatte im Februar letzten Jahres einen Entwurf an den Koalitionspartner geschickt. Von einem gemeinsamen Begutachtungsentwurf seien ÖVP und Grüne noch entfernt, sagt Lukas Hammer, Klimasprecher der Grünen. Damit etwa Photovoltaikanlagen leichter auf versiegelten Flächen errichtet werden dürfen, müssten die Bundesländer Macht in der Raumordnung abgeben. Die Begeisterung der Landeshauptleute dürfte sich in engen Grenzen halten. Der türkise Widerstand sei durch Gewesslers Alleingang bisher aber nicht stärker geworden, so Hammer.
Industrie wartet auf Strom-Gesetze
Beim wohl umfangreichsten legistischen Wurf, dem Elektrizitätswirtschaftsgesetz, das laut Gewessler „das Betriebssystem für das Stromsystem des 21. Jahrhunderts“ sein soll, wird es noch knapper: Fast 300 Seiten lang ist der Gesetzesentwurf mit Erläuterungen derzeit. Aus grüner Sicht hätte er vergangene Woche im Parlament eingebracht werden sollen. Doch auf den letzten Metern zog die ÖVP zurück: Auf EU-Ebene seien noch Themen offen, die man vor Beschluss des Gesetzes abwarten wolle. Dabei sollte das Gesetz auch die überfällige europäische Strombinnenmarkt-Richtlinie umsetzen. Österreichs Industrie wartet ohnehin seit Monaten ungeduldig auf den Beschluss. Um das Gesetz doch noch vor der Wahl zu beschließen, bräuchte es eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses – und dann die Zustimmung der SPÖ.
Besser sieht es beim Erneuerbaren-Gas-Gesetz aus, das die heimische Versorgung sicherstellen soll. Hier ist sich die Regierung einig und ringt nur noch mit der SPÖ um eine Mehrheit. Und dass ein „Made-in-Europe-Bonus“, der europäische Hersteller von Photovoltaikanlagen bevorzugen soll, noch vor dem Sommer beschlossen wird, gilt als sicher. Die Koalition setzt beim Klima, wenn es voran geht, eben auf kleine Schritte.
Oder aber sie steht still – auf Kosten der Steuerzahler, wie etwa die Neos monieren. Bis zu 110 Millionen Euro an Förderungen könnte Brüssel abziehen, weil Österreich weiterhin keinen verpflichtenden Klimacheck für neue Gesetzesvorschläge eingeführt hat. Ein Vorhaben, das im Klimaschutzgesetz stehen sollte – an dem die Volkspartei allerdings schon länger kein Interesse mehr zeigt.
Dasselbe gilt, wenn Österreich das automatische Pensionssplitting nicht umsetzt, also die Aufteilung der Pensionsansprüche, wenn ein Elternteil die Kinderbetreuung übernimmt. Hier wiederum wollen die Grünen die Maßnahme nur in einem größeren Paket gegen Altersarmut beschließen – im Idealfall mit verstärkter Einkommenstransparenz. An der Abschaffung der Kapitalertragssteuer auf Wertpapiere inklusive Behaltefrist haben die Grünen überhaupt wenig Interesse – obwohl das Vorhaben vor vier Jahren im Koalitionsabkommen festgehalten wurden. Damals ging es eben noch um „das Beste aus beiden Welten“, nun müssen die Reste reichen.
Der nächsten Regierung wird zudem wohl eine Pflichtaufgabe überlassen: Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes müssen die ORF-Gremien bis kommendes Frühjahr entpolitisiert werden. Die Grünen würden das noch gern erledigen, die ÖVP will damit bis nach der Wahl warten. Dann könnte FPÖ-Chef und ORF-Kritiker Herbert Kickl mehrere Wörtchen mitzureden haben.
Wie realistisch ist Kickl als Kanzler? ÖVP und SPÖ legen sich derzeit fest: Keine Koalition mit Kickl als Regierungschef. Wie sehen es die Wählerinnen und Wähler ? In der Umfrage ließ profil erheben, ob es einen FPÖ-Kanzler geben solle, falls die FPÖ bei der Nationalratswahl auf Platz 1 kommt: Insgesamt sagen dazu nur 41 Prozent der Befragten „Ja“ oder „Eher Ja“ – nur die FPÖ-Anhänger sind wenig überraschend mit 90 Prozent flammend dafür (siehe Grafiken). Die SPÖ-Fans sind mehr als skeptisch, lehnen mit überwältigender Mehrheit von 75 Prozent einen FPÖ-Kanzler auch bei Platz 1 für die FPÖ ab – in der ÖVP ist die Ablehnung mit 68 Prozent etwas geringer, aber immer noch überaus deutlich.
Wer Kanzler wird und wer regiert, ist offen. Nur eines ist zumindest für die ÖVP fix: Eine Neuauflage von Schwarz-Grün kommt nach Gewesslers Vertrauensbruch nicht mehr in Frage.
Erwähnungen in weiteren Medien
Online
Disclaimer:
Institut/Feldarbeit: Unique Research/ Jaksch & Partner/ Talk Online Panel GmbH
Zielgruppe: Wahlberechtigte ÖsterreicherInnen
Befragungsmethode: Methodenmix telefonische und Online-Befragung
Stichprobengröße: n= 1008
Max. Schwankungsbreite n= 1008: +/- 3,1 %
Deklarierte: n= 835
Max. Schwankungsbreite n= 835: +/- 3,4 %
Untersuchungszeitraum 12. bis 19. Juni 2024
Wortlaut: „Angenommen, am nächsten Sonntag wären Nationalratswahlen, welcher Partei würden Sie da Ihre Stimme geben?“ (Parteien mit Spitzenkandidaten rotierend vorgelesen)
Stichprobengrundlage: Öffentliches Telefonverzeichnis, institutseigene Datenbanken, Panel Talk Online Panel GmbH
Stichproben-Methode: vorgeschichtetes Randomverfahren
Gewichtungsverfahren: nach Geschlecht, Alter, Bildung, Bundesland, Geschlecht x Alter, Geschlecht x Bundesland (Quelle: Statistik Austria/BMI)
Quotenplan: nach Geschlecht, Alter, Bildung, Bezirk, Geschlecht x Alter x Bundesland, Bildung x Bundesland (Quelle: Statistik Austria)
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